Aljoscha Sander Windenergie
„Für uns war das der Jackpot“
Herr Sander, wie sind Sie auf die Idee für Ihr Start-up gekommen?
Das ist eine etwas vertrackte Geschichte: Begonnen hat es während meiner Mitarbeit am Forschungsprojekt SKILLS , an der Universität Bremen. Das Projekt hatte sich zum Ziel gesetzt, die Installationsmethodik, mit der Offshore-Windparks installiert werden, zu optimieren. Wir wollten dafür eigentlich die Logistik untersuchen, mit der die einzelnen Komponenten geliefert und transportiert werden. Dafür haben wir ein Messsystem gesucht, mit dem wir die Erschütterungen der einzelnen Komponenten aufzeichnen können. Das sollte von der Küste aus betrieben werden können. Das System sollte also einfach zu bedienen sein, autark funktionieren und eine möglichst lange Batterielaufzeit haben.
Sie haben dann kein passendes Messsystem gefunden?
Die meisten Systeme, die Sie so kaufen können, sind entweder sehr einfach und auch nicht besonders teuer - aber dann nicht robust genug, nicht wasserdicht oder haben nicht die nötige Akkulaufzeit. Oder es gibt Systeme, die auf externe Infrastruktur angewiesen sind, also auf Mobilfunk oder WLAN.
Das würde Offshore nicht funktionieren.
Richtig. Also haben wir selbst ein System gebaut, nach dem Prinzip: Tupperbox plus Powerbank plus altes Handy. Wir haben dann im Endeffekt einfache, kostengünstige Sensoren gekauft und Bleigelbatterien verwendet – ein extrem einfaches System. Sie müssen sich vorstellen: Das hatte noch nicht mal einen Schalter, sondern nur einen Stecker. Damit haben wir unsere Messungen gemacht. Zunächst eigentlich alle im Hafen. Wir haben die Türme untersucht, die auf das Schiff geladen werden.
„Zunächst“ im Hafen? Später konnten Sie Ihr System auch offshore nutzen?
Wir hatten sozusagen Glück. Das Messsystem war an den Türmen befestigt und ist dadurch mit rausgefahren. Dann gab es Schwierigkeiten bei der Blattinstallation. Um sich das vorzustellen: Das ist wirklich beeindruckend. Sie bauen da ja eine Struktur auf, die über hundert Meter groß ist. Dabei sind Sie auf dem offenen Meer und selbstverständlich haben Sie Wind. Die Rotorblätter sind sehr groß, sehr leicht, mit aerodynamischer Struktur. Dann haben Sie an der Blattwurzel hundert Schrauben, die Sie in eine passende Struktur einführen müssen. Das ist sozusagen der Bottleneck bei der Installation. Das Glück war nun, dass unsere Messboxen an Bord waren. Einer der Ingenieure kam auf die Idee, sie zu nutzen. Für uns war das der Jackpot. Dadurch konnten wir sehr einmalige Daten aufzeichnen.
Wofür haben Sie diese Messdaten genutzt?
Zum einen haben wir durch die Messkampagne, die wir dann bei allen Anlagen durchgeführt haben, wertvolle Daten für die Forschungsszene gewonnen. Diese Daten sind auch frei zugänglich, als Open Source. Dadurch haben wir herausgefunden, dass es nicht die Blätter waren, die sich so stark bewegen - sondern die Anlage! Zumindest war es so bei diesen Senvion-Anlagen. Stand der Literatur war bisher, dass die Blätter sich bewegen. Das zeigt, dass diese Prozesse und das Wissen darum noch in den Kinderschuhen stecken. Die Industrie ist immer noch sehr jung.
Wie können solche Messungen – und somit Ihr System – bei der weiteren Installation helfen?
Wir konnten durch die Daten sehr genau sagen, bis zu welcher Windgeschwindigkeit oder bis zu welcher Wellenhöhe die Ingenieurinnen und Ingenieure erfolgreich installieren konnten. Wir konnten verhältnismäßig rudimentäre, aber dennoch funktionierende Vorhersagen treffen, unter welchen Bedingungen das funktionieren würde – und zwar nicht Bedingungen, die man vorher irgendwie geschätzt hat, sondern basierend auf den vorhergegangenen Installationen. Mit den Daten wurde dann auch ein Design für einen Schwingungstilger entwickelt, damit die Anlagen weniger schwingen.
Diese Daten muss aber jeder Kunde für sich selbst erheben?
Jede Installation ist anders. Sie haben immer andere Tools, Sie haben immer andere Standorte, Sie haben immer andere Schiffe. Sie haben andere Crews. Der Faktor Mensch ist auch eine große Unbekannte. Es ist einfach so, dass Offshore-Windparks nicht gebaut werden wie Autos oder Küchenmixer. Der Prozess ist nicht so standardisiert, als dass Sie da ein Messsystem entwickeln könnten, das dann ohne Anpassungen an die projektspezifischen Umstände immer vergleichbare Daten liefert.
Und so entstand Ihre Geschäftsidee.
Wir haben tatsächlich eine Nische gefunden. Es gibt niemanden am Markt, der da in irgendeiner Form eine Lösung anbietet. Dabei entstehen bei so einer Offshore-Installation gut und gerne mal 300.000 Euro an Kosten am Tag. Wenn sich die Arbeiten verzögern, bleiben die Kosten trotzdem gleich hoch. Zukünftig werden die Anlagen noch größer, die Standorte noch schwieriger, mit weniger geeigneten Wetterfenstern. Daher sehen wir hier ein massives Kosteneinsparungspotenzial.
Das Interview führte Meike Bierther, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.
Aljoscha Sander ist Strömungsmechaniker. Er hat an der Hochschule Bremen Bionik auf Bachelor und Master studiert - thematisch interdisziplinär mit Themen aus Biologie und Ingenieurwissenschaften. Seine Kompetenz im Bereich Elektronik hat er sich in seiner Freizeit angeeignet. Seine Dissertation widmet er dem Thema der Strukturdynamik von Windenergieanlagen während der Installation. Das Start-up flucto haben er und sein Kollege Andreas Haselsteiner im November 2020 gegründet.