DR. FRITZ REUSSWIG IM INTERVIEW

Ende April fand der digitale Workshop der Forschungsnetzwerke Energie „Akzeptanzforschung: Systemanalyse und Windenergie“ statt. Dr. Fritz Reusswig referierte dort zum Einfluss des Populismus auf den Ausbau der Windenergie. Im Interview spricht er über lokale Protestinitiativen, eine Stärkung der Kommunen und die Mobilisierung der schweigenden Mehrheit.

Wie hat sich der Diskurs über die Energiewende in den letzten Jahren verändert?

Nach wie vor ist die Zustimmung zur Energiewende allgemein in der Bevölkerung hoch. Mehrere Umfragen zeigen aber, dass mehr Menschen unzufrieden mit der Umsetzung sind. Den einen geht es im Kern nicht schnell genug, die anderen zweifeln an der Sinnhaftigkeit des ganzen Projekts oder bemängeln mangelhafte Beteiligung oder Landschaftszerstörung.

Diese wachsende Umsetzungskritik spiegelt die zunehmende Polarisierung der Klimadebatte in unserem Land. Bis vor wenigen Jahren gab es hierzulande kaum in nennenswertem Umfang so genannte „Klimaskeptiker*innen“ – anders als in den USA oder Australien. Mittlerweile gibt es auch bei uns ein paar mehr davon. Auf der anderen Seite wächst das Lager derjenigen, die den Klimawandel für eine große Bedrohung halten und schnelleres Handeln wünschen. Die Fronten werden härter.

Welchen Einfluss nehmen populistische Akteure auf die Akzeptanz der Windenergie?

Mit der AfD verfügt Deutschland seit einigen Jahren über eine rechtspopulistische Partei, die klimaskeptisch ist und die Energiewende zurückdrehen will. Unterstützt wird die AfD dabei von dem selbsternannten Klima-„Think-Tank“ EIKE (Europäisches Institut für Klima und Energie), das sich als unterdrückte Gegen-Wissenschaftsinstanz inszeniert. Auch bei dem offiziell technologie- wie parteipolitisch offenen windkraftkritischen Dachverband „Vernunftkraft“ wird häufig populistisch gegen die Energiewende argumentiert. Bisweilen sind auch Vertreter*innen anderer Parteien – etwa von der FDP – populistisch gegen die Energiewende unterwegs.

Das Kennzeichen populistischer Kritik: Die Energiewende gilt hier als ein Projekt urban-grüner Eliten, die scheinheilig Klimaschutz predigen, in Wirklichkeit aber nur Geld machen wollen und dafür die „Mehrheit“ des Volkes für dumm verkaufen und das Gemeinwohl verraten. Das steht in den Programmen, das wird im Bundestag und den Landesparlamenten erzählt, das prägt die Medienarbeit und last but not least eben auch die Interventionen vor Ort.

Ist dieser Populismus insbesondere bei lokalen Windprojekten zu beobachten und wenn ja, warum?

Unsere ersten Ergebnisse im Projekt Demokon sagen: Ja, es gibt diesen Einfluss des Populismus auf die lokale Protestebene. Wir können ihn aktuell zwar noch nicht genau quantifizieren – das untersuchen wir gerade - aber er nimmt zwei Grundformen an: Zum einen sucht insbesondere die AfD den Kontakt zu lokalen Protestinitiativen und dient sich hier manchmal recht geschickt als eine Art Sachwalter und Dienstleister an. Man bietet diesen Initiativen etwa die Gelegenheit, auf Hearings im Deutschen Bundestag aufzutreten – und verlangt im Gegenzug, dass man sich mit anti-populistischen Stellungnahmen etwas zurückhält.

Zum anderen gehen einige lokale Aktivist*innen auch gezielt auf die AfD oder auf EIKE zu, um Unterstützung zu bekommen – zum Beispiel in Form von Argumentationshilfen, Medien-Aufmerksamkeit oder Netzwerkbildung. Wenn man jahrelang mehr oder weniger erfolglos gegen Anlagen gekämpft hat, sucht man eben auch mal Kontakt mit etwas radikaleren Parteien.

Ist hier ein Wandel festzustellen und wie sieht dieser aus?

Es sind vor allem zwei Effekte, die diese Verbindung zwischen lokalem Protest und Populismus hat: Erstens wird die Kritik grundsätzlicher und umfassender. Früher hat man vielleicht eine NIMBY-Position (kurz für: Not in my backyard, Anm. d. Red.) eingenommen: „Windkraft an sich ja, aber bitte nicht bei uns“. Nach der Übernahme des populistischen Narrativs ist klar: „Windkraft weder hier noch anderswo“. Zweitens wird die Form der Auseinandersetzung härter. Der Populismus teilt die Welt in Gut und Böse auf, tertium non datur. Aus Gegnern werden Feinde. Und Feinde muss man unnachgiebig bekämpfen, zur Not auch mit lauter Stimme oder gar Gewalt.

Es ist mir übrigens wichtig zu betonen, dass nicht jede Kritik an einer Windkraftanlage oder auch der Energiewende insgesamt populistisch ist. Die Energiewende ist ein gesellschaftliches Mega-Projekt, das viele Interessen und Positionen berührt. Es ist kein Wunder, sondern geradezu zu erwarten, dass um sie gestritten wird. Und das muss in der Demokratie sogar so sein. Gefährlich ist der Populismus gerade deshalb, weil er die in der konkreten Gestaltung der Energiewende zum Ausdruck kommenden Konflikte gerade unsichtbar macht und behauptet, hier wolle eine geschlossene Elite ein einheitliches Volk hinters Licht führen. Das entspricht nicht den Tatsachen: Weder ist „die Elite“ einheitlich, noch das Volk.

Wie kann man die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Energiewende steigern?

Zunächst einmal muss die Energiewende stärker als das zur Kenntnis gegeben und genommen werden, was sie ist: Eine Großprojekt, um das gerungen wird und werden muss. In diesem Ringen zählen die vielfältigen Interessen und Wertvorstellungen „des“ Volkes. Sie müssen mit den Zielen des Klimaschutzes harmonisiert werden. Soziale und räumliche Schieflagen sind dabei zu vermeiden – etwa durch geänderte Steuern, Gesetze oder Kompensationen. Beteiligung muss früher stattfinden, finanzielle Beteiligung der Kommunen und Regionen gestärkt werden.

Wir brauchen eine dezentralere Energiewende, die auch die kleineren Player wie Stadtwerke, Genossenschaften und Bürger*innen besser zum Zuge kommen lässt. Wir müssen die Kommunalpolitik stärken, auch argumentativ. Die kapituliert nicht selten vor populistischen Attacken. Die Energiewende braucht eine Art „Road-Show“ – nicht in Berlin, sondern auf dem „flachen Land“.

Wir müssen gezielt die „schweigende Mehrheit“ aktivieren: Sie ist mehrheitlich dafür, äußert sich aber kaum. Hier könnte ein Klima-Bürgerrat aus zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern eine gute Ergänzung zu den Institutionen der repräsentativen Demokratie darstellen – das ist übrigens schon auf dem Weg. Je besser unsere demokratische Streitkultur, desto weniger Chancen hat der Populismus.

Das Gespräch führte Stephanie Epler, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

Dr. Fritz Reusswig ist Soziologe und Philosoph und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung e.V. (PIK). Er leitet das von der Mercator-Stiftung geförderte Projekt Demokon (Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende).

Portraitfoto Dr. Fritz Reusswig
© PIK - Karkow
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Workshop zu Akzeptanzforschung und Windenergie

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