PATRICK HILGER IM INTERVIEW

Im nordrhein-westfälischen Jülich starten die Bauarbeiten zur weltweit ersten industriellen Demonstrationsanlage für Kerosin, das mittels Sonnenenergie erzeugt wird. Warum gerade hier? Das erklärt Patrick Hilger, Geschäftsführer der Firma Synhelion Germany und Projektleiter des Forschungsvorhabens SolarFuels, im Interview. Seit mehreren Monaten arbeitet er bereits gemeinsam mit Partnern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Fachhochschule Aachen an den Schlüsselkomponenten. Nun beginnt der Bau der großen Testanlage.

Herr Hilger, bevor wir gleich ganz konkret über die geplante Anlage sprechen, eine allgemeine Frage vorab: Deutschland hat zwar sonnenreiche Tage, aber Länder wie Spanien oder Portugal haben davon erheblich mehr. Warum bauen Sie die Pilotanlage in Deutschland?

Wir haben in Jülich dieselbe Sonnenstrahlungsqualität, nur die Sonnendauer ist geringer. Für uns aber viel ausschlaggebender: Wir haben in Deutschland eine herausragende Förderlandschaft. Und wir haben hier vor Ort hervorragende Kooperationspartner. Die Fachhochschule Aachen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sitzen gerade um die Ecke. Das DLR hat zudem hier in Jülich einen Forschungsstandort, an dem wir unsere Technologie testen können. Und wir haben viele Industrieunternehmen und Gewerbebetriebe in der Umgebung, die uns bei Bedarf schnell und unkompliziert mit ihren Dienstleistungen unterstützen.

Auf dem DLR-Gelände am Multifokusturm Jülich laufen schon seit Monaten verschiedene Tests. Welche Erkenntnisse haben Sie dort gewonnen, die für den Aufbau und die Inbetriebnahme der Pilotanlage wichtig sind?

Auf dem Multifokusturm des DLR haben wir die Möglichkeit, unsere Kernkomponenten für die Herstellung von Solartreibstoffen auf einem bestehenden Solarturm in industrieller Größe gekoppelt zu testen. So können wir wichtige Erkenntnisse für den Bau unseres eigenen Solarturms, dessen Spatenstich wir heute feiern, gewinnen. Ursprünglich hatten wir geplant, das Testprogramm am Multifokusturm früher abzuschließen. Aber wie es in der Prototypenentwicklung häufig der Fall ist, haben sich technische Schwierigkeiten ergeben. Schließlich haben wir dort das erste Mal den neu entwickelten Receiver zusammen mit dem Reformierungsreaktor aufgebaut, und zwar in einer Testkammer auf dem Solarturm. Das hat doch deutlich länger gedauert als wir gedacht hatten. Hinzu kamen die allseits bekannten Lieferengpässe.

Zur Produktion des solaren Kerosins wird Kohlenstoffdioxid benötigt. Woher werden Sie dieses beziehen?

Das CO2 beziehen wir aus unserer Biogasanlage. Wir werden diese mit Papierschlämmen beschicken. Das ist ein biogener Industrieabfall, den wir von der Papierfabrik Metsä Tissue aus Kreuzau aus der Nähe von Düren erhalten. Bisher werden diese Papierschlämme nicht weiter recycelt, sondern in der Verbrennungsanlage verbrannt. Für uns sind sie aber eine wertvolle Kohlenstoffquelle. Unser Partnerinstitut an der FH Aachen betreibt erfolgreich Testfermenter, in denen Papierschlämme aufgearbeitet werden. Diese Fermenter  hat das FH-Team bereits probehalber in Kreuzau in den Prozess eingebunden und dort vor Ort erfolgreich Biogas produziert.

Papierschlämme in der Biogasanlage schont als lokales Produkt die Umwelt. Gibt es weitere Vorteile?

Das Gute an dieser Art Biomasse ist, dass sie immer die gleichen Inhaltsstoffe hat. Das ist bei Gülle beispielsweise nicht der Fall. Wir betreiben eine Pilotanlage, daher ist es für uns wichtig, dass das im Fermenter erzeugte Biogas eine möglichst konstante Zusammensetzung bezüglich des Methan-/CO2-Verhältnisses hat. Generell gilt für uns: Wir werden nur RED-II-konforme  Biomasse verwenden. Dazu gehört Biomasse, die nicht für die Lebensmittelherstellung in Frage kommt.

Wie sieht die Aufgabenverteilung zwischen den drei Projektpartnern in den nächsten Monaten aus?

Das Solarinstitut Jülich unterstützt uns maßgeblich in der dynamischen Simulation unserer gesamten Anlagentechnik. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt bringt sein Know-how in die Komponentenentwicklung ein, insbesondere in die Reaktortechnologie. Außerdem stellt das DLR mit dem Multifokusturm die notwendige Test-Infrastruktur vor Ort für die erste Testphase.

Der Spatenstich zum Bau der Demonstrationsanlage ist gerade erfolgt. Was bedeutet das für Sie und das ganze Team?

Es ist ein ganz besonderer Tag. Parallel zu den Tests des Receivers und Reformierungsreaktors am Jülicher Multifokusturm gehen jetzt ganz konkret die Arbeiten im Brainergy Park los. Bisher ist unser Grundstück noch Ackerland. Jetzt werden dort zeitnah die Erdarbeiten beginnen und im Anschluss das Heliostatenfeld, der Solarturm, die Biogasanlage und die Fischer-Tropsch-Anlage sowie weitere Nebenanlagen wie Leitwarte und Büros gebaut.

Wann planen Sie die Anlage in Betrieb zu nehmen?

Wir gehen davon aus, dass die Bau- und Aufbauarbeiten im Brainergy Park 2023 abgeschlossen sein werden. Ich formuliere das bewusst etwas wolkig. Vieles hängt davon ab, ob die zeitlichen Lieferzusagen eingehalten werden. Wir mussten deshalb schon in der Planungsphase untypisch handeln. Wir haben die Hauptkomponenten bereits bestellt, als wir noch mit der Anlagenplanung beschäftigt waren. Zurzeit betragen die Lieferzeiten 14 bis 18 Monate — und zwar für Komponenten, die wir früher nach sechs bis acht Monaten vor Ort hatten.

Welche Synthesegasart werden Sie produzieren?

In der Jülicher Anlage im Brainergy Park werden wir nur als Zwischenprodukt ein Synthesegas produzieren, eine Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid. Wichtiger ist jedoch, dass wir durch den nachgeschalteten Prozess in der Fischer-Tropsch-Anlage synthetisches Rohöl herstellen. Dieses wird von uns als klimaneutrales Ausgangsprodukt an die Raffinerien geliefert und dort zu Kerosin weiterverarbeitet.

Ihre Mutterfirma Synhelion mit Sitz in der Schweiz plant nach eigenem Bekunden, im Jahr 2030 rund 875 Millionen Liter synthetisches Rohöl zu produzieren.

Das ist richtig. Wir planen, die erste kommerzielle Produktionsanlage in Spanien 2025 in Betrieb zu nehmen. Anschließend möchten wir die Produktionskapazitäten rasch ausbauen, um bis 2030 ein Produktionsvolumen von rund 875 Millionen Litern Solartreibstoff zu produzieren. Damit könnte man zum Beispiel bereits 7 Prozent des deutschen Kerosinbedarfs abdecken.

Gibt es mit Fluggesellschaften bereits Abnahme-Gespräche oder -Verträge?

Wir haben eine enge Zusammenarbeit mit der Lufthansa Group und ihrer Tochtergesellschaft Swiss. Diese unterstützen uns beispielsweise gerade beim Planen der kommerziellen Anlage in Spanien, insbesondere bei den Logistikkonzepten. Die Swiss wird zudem die erste Airline sein, die mit unserem Solarkerosin aus der Jülicher Demonstrationsanlage abhebt.

Haben Sie die Anlagentechnik patentieren lassen?

Der Gesamtansatz ist schwer patentierbar. Aber wir haben die einzelnen Schlüsseltechnologien, wie etwa unseren Receiver, weltweit patentieren lassen.

Das Interview führte Ilse Trautwein, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

Patrick Hilger ist Geschäftsführer der Synhelion Germany GmbH. Er hat an der RWTH Aachen Energietechnik studiert und arbeitete zunächst als Projektingenieur für die Forschungseinrichtungen Solar-Institut Jülich (SIJ) und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Bereich der Heliostatenentwicklung. Gemeinsam mit Prof. Dr. Bernhard Hoffschmidt gründete er 2016 die Heliokon GmbH, die seit 2021 als Synhelion Germany GmbH Teil der Schweizer Firma Synhelion ist.

Porträtfoto Patrick Hilger
© Synhelion

„Wir haben in Deutschland eine herausragende Förderlandschaft.“

SolarFuels

För­der­kenn­zei­chen: 03EE5085A-C

Projektlaufzeit
01.08.2021 28.02.2025 Heute ab­ge­schlos­sen

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För­der­sum­me: 3.919.971 Euro

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