22. November 2022

Sind Windenergieanlagen zu nah an Wetterradaren gebaut, entstehen Datenlücken für die Wettervorhersage – ein Problem insbesondere bei Unwettern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im Forschungsprojekt RIWER Mess- und Analyseverfahren entwickelt, um dieses Problem zu adressieren. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) testet jetzt die Algorithmen der Hochschule Neubrandenburg mit den Messungen seiner Wetterradarsysteme.

Windenergieanlagen in der Nähe von Wetterradaren reflektieren die Radarstrahlung. Dabei erzeugen sie in der Regel erhebliche Störsignale, die es erschweren, das Wetter zu beobachten. Bisher bleibt daher nur der Ansatz, aufgrund der erheblichen Störanteile möglichst das gesamte Echosignal im Bereich der Windenergieanlagen nicht zu nutzen – als Folge entstehen jedoch flächige Datenlücken. Die Algorithmen der Hochschule Neubrandenburg dienen nun dazu, diese Datenlücken für die Radarreflektivität im Nachhinein in einer zeitlichen und räumlichen Nachbarschaft zu rekonstruieren. Dabei beziehen sie die Wetterbeobachtungen mit ein. In speziellen, einfach gelagerten Fällen filtern die Algorithmen die Störanteile der Windenergieanlagen in den Radardaten heraus. Damit sind verlässliche Wettervorhersagen auch für die Gebiete mit Windparkstandorten möglich.

Neuer Algorithmus liefert gute Ergebnisse für unterschiedliche Wetterszenarien

Der Algorithmus rekonstruiert das Innere der Datenlücken für die Radarreflektivität mittels eines iterativen Verfahrens. Globale und lokale Radarmessungen rund um die Windenergieanlagen und der zeitliche Verlauf der bisherigen Wetterereignisse fließen in die Berechnungen ein. Allerdings ist diese Methode begrenzt – ist die Region, die vom Windpark beeinflusst wird, zu groß oder gibt es zu wenige unbeeinflusste Radarmessungen in der Umgebung, ist das Rekonstruktionsverfahren nicht mehr hinreichend präzise. Der DWD hat für den Algorithmus bereits eine Testumgebung und Schnittstelle für seine Radarprozessierungskette geschaffen. Der Einsatz des Verfahrens an den Radarstandorten Prötzel und Memmingen zeigt bisher gute Ergebnisse – zumindest bei keinem beziehungsweise leichtem Regen.

Die jetzt entwickelten Verfahren müssen noch ausgiebig evaluiert werden. Die Meteorologinnen und Meteorologen planen, die Ergebnisse nun für möglichst viele verschiedene Wetterlagen zu prüfen und genau anzupassen. Dabei berücksichtigen sie alle Radarstandorte in Deutschland. Sie bewerten auch die Auswirkungen auf die Warnverfahren des DWD.

Von den modernen Wetterradarsystemen des DWD sind neben der Radarreflektivität weitere Radarmessungen verfügbar, sogenannte Doppler- und insbesondere polarimetrische Radarmessungen. Diese sind für die Arbeit des DWD ebenfalls von grundlegender Bedeutung, weswegen dafür zukünftig weitere Entwicklungsarbeit anfällt.

Zum Hintergrund: Warum werden die Daten der Wetterradare durch Windenergieanlagen gestört?

Das Wetterradar ist das einzige Messverfahren, bei dem Niederschlag flächendeckend und dreidimensional erfasst wird. Daher ist es insbesondere für das Warnmanagement des DWD von essenzieller Bedeutung. Die rotierende Wetterradarantenne sendet elektromagnetische Wellen in die Atmosphäre, die an den Niederschlagsteilchen gestreut werden. Das dann vom Wetterradar empfangene Signal entspricht der Summe der Echos aller Teilchen, die sich in einem bestimmten Volumen befinden. Neben Niederschlagsteilchen kann dieses Volumen jedoch auch andere, nicht meteorologische Objekte beinhalten – zum Beispiel Gebäude, Berge oder eben Windenergieanlagen. Echos der sich bewegenden Rotorblätter von Windenergieanlagen überlagern das Wettersignal und können, im Gegensatz zu Echos von unbewegten Gebäuden oder Bergen, nicht separiert werden. Daher wirken sie in den Daten wie (sehr) starker Niederschlag.

Alternative Messmethoden verbessern das Verständnis für Radarechos von Windenergieanlagen und Regentropfen

Eine andere Möglichkeit, ein besseres Verständnis vom Rückstreuverhalten von Windenergieanlagen zu erlangen, entwickeln die Technische Universität Chemnitz (TUC) und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB). Als Teil des Forschungsprojekts RIWER nutzen die Projektpartner Mess- und Analyseverfahren, um die Radarsignatur der Windenergieanlagen direkt vor Ort und aus verschiedenen Blickwinkeln zu gewinnen. Dazu haben die Forschenden in der Nähe des Wetterradars Hannover einen Oktokopter  eingesetzt, der nah an eine sich drehende Windenergieanlage heranfliegen konnte. Mit dessen Hilfe haben sie die Rückstreucharakteristika genauer untersucht. Noch sind die Arbeiten nicht abgeschlossen, die Daten noch nicht vollständig ausgewertet. Aber die Potenziale sind erkennbar.

Etwa bei der sogenannten differentiellen Reflektivität. Bei dieser Darstellungsweise werden horizontal und vertikal polarisierte Radarsignale kombiniert. Dieser Wert hat bei Regen eine spezielle Ausprägung, Windenergieanlagen hinterlassen andersartige Signale. Einen weiteren Schwerpunkt sehen die Forscherinnen und Forscher bei den Effekten der Mehrwegwellenausbreitung. Diese tritt auf, wenn mehrere Windenergieanlagen in räumlicher Nähe zueinanderstehen. Radarsignale werden dabei nicht nur auf direktem Weg zum Radar zurück reflektiert, sondern auch in andere Richtungen gestreut, treffen auf nebenstehende Anlagen, werden wiederum gestreut und erreichen dann erst das Radargerät. Bei Regen-Wetterlagen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Kontext interessante Beobachtungen gemacht. Auch das habe möglicherweise das Potenzial für Methoden, um Wettersignale eindeutiger von denen der Windenergieanlagen zu unterscheiden. (mb)

RIWER

För­der­kenn­zei­chen: 03EE3004A-E

Projektlaufzeit
01.05.2019 31.12.2022 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Windenergie

För­der­sum­me: 1.207.181 Euro

Maßnahmenpapier zu Wetterradaren und Funkanlagen

Die Arbeiten des Forschungsprojekts RIWER sind Teil des Maßnahmenpapiers der Bundesministerien für Digitales und Verkehr (BMDV) und für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Veröffentlicht wurde es am 5. April 2022 unter dem Titel „Gemeinsam für die Energiewende: Wie Windenergie an Land und Belange von Funknavigationsanlagen und Wetterradaren miteinander vereinbart werden.“ Mitte 2022 hat bereits das Forschungsprojekt WERAN Ergebnisse geliefert, wodurch die Anlagenschutzbereiche um Funkanlagen der Flugsicherung verringert werden konnten . Die RIWER-Ergebnisse sollen mit ihren neuartigen Verfahren zukünftig auch berücksichtigt werden.

Abstandsregelungen

In Deutschland gibt es 17 operationelle C-Band Wetterradare, die durch den DWD betrieben werden. Die Daten dienen unter anderem als Grundlage für Unwetterwarnungen – sind also wichtig, um Leben und auch Sachgüter zu schützen. Der DWD wird bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren neuer Windenergieanlagen als Träger öffentlicher Belange generell beteiligt. Aktuell findet in einem Abstand von 5-15 Kilometern zu den Wetterradarstandorten zudem eine Einzelfallprüfung statt. Unter bestimmten Voraussetzungen soll diese Einzelfallprüfung durch die Maßnahmen von BMDV und BMWK  zukünftig entfallen. Zum Beispiel sollen dem DWD die Betriebs- und meteorologischen Daten der jeweiligen Windenergieanlage zur Verfügung gestellt werden. Der notwendige Schutzradius von 5 Kilometern um die Wetterradarstandorte des DWD bleibt davon unberührt.