26. Juli 2022

Die Netzverträglichkeit von Windenergieanlagen kann künftig innerhalb von etwa drei Monaten auf dem Prüfstand getestet werden. Das Verfahren ersetzt langwierige, etwa ein Jahr andauernde Feldtests und beschleunigt den Ausbau der Windenergie.

Windenergieanlagen müssen den erzeugten Strom dezentral und netzverträglich in die Netze der Energieversorger einspeisen. Daher benötigen Hersteller für Planung, Bau und Netzanschluss der Anlagen Prüfzertifikate. Diese bestätigen, dass die aktuell gültigen Gesetze, Normen und Richtlinien eingehalten werden. Dafür sind kostenintensive und langwierige Zertifizierungstests im Feld notwendig, die künftig durch Labortests ersetzt werden können. Diese Labortests bieten jederzeit reproduzierbare Wind- und Netzverhältnisse und sparen so Zeit und Kosten. Momentan gehen die Forschenden davon aus, dass eine erstmalige Messkampagne im Labor etwa drei Monate dauert. Werden weitere Systeme des gleichen Herstellers getestet, reduziert sich die Dauer, da die komplexe Inbetriebnahme im ersten Schritt sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Konkret getestet werden: Generator, Umrichter, Transformator und die Hauptsteuerung der Windenergieanlage.

Realitätsnahe Bedingungen aus dem Feld ins Labor übertragen

Gemeinsam mit zwei Industriepartnern hat das Fraunhofer IWES einen Prüfstand entwickelt, um die elektrischen Eigenschaften von Windenergieanlagen zu testen. Dieser wurde im vergangenen Jahr in Betrieb genommen. Anschließend haben die Projektteams an zwei Anlagen von Vestas und Nordex, die über Umrichter für Asynchrongeneratoren verfügen, die Validierungsmethoden entwickelt und geprüft. Sehr viele in Deutschland gebaute Anlagen nutzen diesen Generatortyp. Ziel war es, realitätsnahe Bedingungen aus dem Feld im Labor nachzubilden und ein sogenanntes Einheitenzertifikat zu erlangen, welches für eine Windenergieanlage nachweist, dass diese über die geforderten Eigenschaften verfügt.

Fokus der Forschungsarbeiten lag auf der sogenannten Echtzeit-Automatisierung. Heißt: Reale Daten zu Drehmoment und Drehzahl der Anlage sind abzubilden. Im Gegensatz zu Windenergieanlagen mit Vollumrichter weisen Windturbinen mit doppelt gespeisten Asynchrongeneratoren eine direkte Kopplung zwischen dem mechanischen Triebstrang und dem Stromnetz auf. Daher sind die mechanischen Eigenfrequenzen, die durch Netzfehler entstehen, auch in elektrischen Messungen deutlich sichtbar und müssen nachgebildet werden. Die Analysen haben gezeigt, dass das imitierte mechanische Verhalten sehr gut mit den Feldergebnissen übereinstimmt.

Wie wird das System auf der elektrischen Seite nachgebildet?

Das Netzverhalten sowie die Testeinrichtung, um Fehler-Szenarien im Feld zu durchfahren (sogenannte Fault Ride Through, FRT), werden ebenso wie das mechanische Verhalten realitätsnah dargestellt. FRT-Tests sind für das Mittelspannungsnetz ausgelegt und vermessen den Stromeinspeiser, hier die Windenergieanlage. Dabei wird beispielsweise ermittelt, ob die Turbine Netzfehler durchfährt und stabil am Netz bleibt. Dazu werden die Ströme und Spannungen am Netzanschlusspunkt des Prüflings gemessen und in das elektrische Modell der FRT-Testeinrichtung übertragen. Dieses berechnet in Echtzeit die Sollwerte für den Mittelspannungsnetzemulator, welcher die Netzbedingungen eines Mittelspannungsnetzes nachbildet. Die Messergebnisse des Prüfstands stimmen gut mit den Feldtests überein. Außerdem haben die Projektteams Tests hinsichtlich Netzfrequenzänderungen und Blindleistung erfolgreich abgeschlossen.

Zertifizierung der Testmethodik steht unmittelbar bevor

Abschließend konnte das neue Verfahren den Zertifizierungsstellen vorgestellt werden. „Zwar sind noch kleinere Datenunterschiede zu begründen, aber generell wurde die entwickelte Testmethodik als geeignet befunden, um Zertifizierungsverfahren reproduzierbar im Labor durchzuführen und ein Einheitenzertifikat zu erlangen. Zudem erlaubt der prüfstandbasierte Nachweis der elektrischen Netzeigenschaften Herstellern, Zertifizierungs- und Validierungstests zeitlich genau zu planen und kostengünstig durchzuführen. Prüfzeiträume und so auch Innovationszyklen lassen sich entscheidend verkürzen“ so Torben Jersch, Projektleiter beim Fraunhofer IWES. Darüber hinaus haben die Forschenden die Testmethode bereits in verschiedene Normungsgremien eingebracht. Auch bei künftig verschärften Netzanforderungen kann das Verfahren als Grundlage dienen.

Das Interesse am Prüfstand ist groß. Momentan finden Gespräche mit einem Hersteller von Windenergieanlagen statt, der umfangreiche Tests für einen Windpark plant. Zudem haben ebenfalls Hersteller von Blockheizkraftwerken und leistungsstarken Speichertechnologien ihr Interesse bekundet. (mm)

Hil-GridCop

För­der­kenn­zei­chen: 0324170A-D

Projektlaufzeit
01.07.2017 31.03.2022 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Windenergie Anlagentechnik

För­der­sum­me: 8.868.376 Euro

Kontakt

Torben Jersch

Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES
27572 Bremerhaven


www.iwes.fraunhofer.de

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Elektrische Eigenschaften von Windenergieanlagen – Grafiken: Fraunhofer IWES

Vergleich des Verhaltens einer Windenergieanlage im Feld und am Prütstand Hil-GridCop (PDF, 504 KB)