DR. CLAUDIA BUERHOP-LUTZ IM INTERVIEW

Bei der diesjährigen Vollversammlung des Forschungsnetzwerks Erneuerbare Energien – Photovoltaik hat Dr. Claudia Buerhop-Lutz den Posterpreis für die Darstellung des Forschungsprojekts dig4morE gewonnen. Im Interview erklärt die Forscherin, warum das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen von Photovoltaikanlagen eine zentrale Rolle in dem Projekt spielt. Außerdem berichtet sie, wie künstliche Intelligenz (KI) ihre Arbeit unterstützt, um Defizite in Solarparks frühzeitig zu erkennen.

Frau Buerhop-Lutz, im Projekt dig4morE geht es um digitalisiertes „Operation & Maintenance“-Management, das den Ertrag von Solaranlagen sichern soll. Was ist in diesem Kontext unter O&M-Management zu verstehen?

Hier fließt die gesamte Betriebsführung ein: Wie werden die Photovoltaikanlagen gewartet, instandgehalten, geprüft? Wie wird sichergestellt, dass alles ordnungsgemäß funktioniert? Es geht so weit, dass wir untersuchen, ob eine Reinigung der Anlage ansteht und wie lohnenswert diese ist. Müssen Module eventuell getauscht werden? Wann rechnet sich das wirtschaftlich? All diese Dinge gehören zum O&M-Management – und natürlich auch übergreifend, welche Materialeigenschaften und Materialtypen wir als vielversprechend für die Zukunft erachten.

Was sind dabei die zentralen Herausforderungen in Ihrer Forschungsarbeit?

Man muss beachten, dass es um ein unglaublich schnelllebiges Feld geht. Die Chemie etwa spielt eine viel größere Rolle, als zunächst von der Branche angenommen. Man hat immer nur auf höhere Leistung, höhere Effizienz geschaut. Aber Zuverlässigkeit und Langlebigkeit ergeben sich auch aus der Auswahl der Materialien. Am Ende können auch kleine, kostengünstige Bauteile viel ausmachen. Und letztlich entscheiden diese Faktoren ebenfalls darüber, ob die Energiewende gelingt. Denn was hat man davon, wenn Photovoltaikanlagen im Gigawattbereich installiert werden, aber diese nach fünf Jahren nicht mehr funktionieren, weil Serien- oder Materialfehler auftreten?

Wie trägt Ihre Forschung in Zusammenarbeit mit Ihren Projektpartnern dazu bei, das Potenzial von Photovoltaikanlagen besser zu nutzen?

Ich sehe uns in der Pflicht, dass wir Prüfmethoden entwickeln, die die zuvor genannten Faktoren mitberücksichtigen. Denn Labortests sind nicht ausreichend. Im echten Leben eines PV-Moduls draußen im Feld passiert so viel, und hier muss es bestehen. Wir müssen Methoden zur Verfügung haben, mit denen wir die verschiedenen Einflussfaktoren auf Photovoltaikanlagen besser beobachten und potenziell aufkommende Fehler frühzeitig erkennen können. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen. Wir sind vier Projektpartner: das Forschungszentrum Jülich und die drei Industriepartner SunSniffer, Sunset-Energietechnik sowie Aquila Clean Energy. Für die Industriepartner ist die Datenanalyse extrem wichtig. Betreiber von großen Solarparks haben Daten vorliegen, aber können das Wissen dahinter nicht vollumfänglich nutzen. Wir wollen verstehen, was im Feld passiert, wo Defizite auftreten, was aus den Daten herauszulesen ist.

Mit Blick auf die von Ihnen angesprochenen Auswertungen, gibt es Defekte, die typischerweise beziehungsweise regelmäßig in den von Ihnen untersuchten PV-Anlagen auftreten?

Wir arbeiten jetzt noch mit den Photovoltaikmodulen aus etwa 2010 bis 2016 und sehen – sechs bis zehn Jahre später – welche Faktoren sie beeinflussen. Nicht alle Faktoren sind gravierend schlimm, aber vieles hat einen Einfluss. Anomalien zu sehen ist grundsätzlich einfach. Aber herauszufinden, wie relevant diese sind, wo genau sie in den PV-Modulen auftreten und um was für einen Fehler es sich handelt, das sind die zentralen Fragen.

Rückseitenfolien, sogenannte Backsheets, sind ein Bereich, der lange vernachlässigt wurde, weil man Fehler anhand von Monitoring- oder Infrarotdaten nicht sehen konnte. Daraus haben wir gelernt, dass man einen Daten-Mix nehmen muss, um Leistungsverschlechterungen zu erkennen. Ich kann jetzt aber auch nicht sagen, dass alle Anlagen Backsheet-Probleme haben. Ich kann nur sagen, sie haben alle unterschiedliche Polymere und gewisse Polymerkombinationen führen zu unterschiedlichen Degradationspfaden.

Analyse im Feld: Dr. Claudia Buerhop-Lutz und ihr Kollege Dr. Oleksandr Stroyuk bei der spektroskopischen Untersuchung der Polymere im Solarpark mit NIRA (Abkürzung für „Nahinfrarot-Absorptionsspektroskopie“). Die Forschenden nutzen diese Methode, um unter anderem das Backsheet-Material zu identifizieren.
© HI ERN
Analyse im Feld: Dr. Claudia Buerhop-Lutz und ihr Kollege Dr. Oleksandr Stroyuk bei der spektroskopischen Untersuchung der Polymere im Solarpark mit NIRA (Abkürzung für „Nahinfrarot-Absorptionsspektroskopie“). Die Forschenden nutzen diese Methode, um unter anderem das Backsheet-Material zu identifizieren.

Liegt deswegen in der Backsheet-Analyse aktuell ein Schwerpunkt Ihrer Forschungsarbeit?

Grundsätzlich haben wir immer das Gesamtvorhaben im Blick. Aber die Backsheets sind momentan ein Fokus, weil es eigentlich sonst niemanden gibt, der mit der Analyse so im Feld unterwegs ist wie wir. Es gibt nicht so viel Messtechnik, die Backsheets so tiefschürfend erschließen kann. Die meisten betrachten nur die Oberfläche oder holen sich ein paar Module von mehreren Hunderttausend einer Anlage ins Labor zur Analyse. Das ist natürlich nicht repräsentativ. Mit unserer Methode kann ich im Feld alle drei Schichten, die es in der Regel im Backsheet gibt, analysieren. Hierbei haben wir kürzlich festgestellt, dass es viele verschiedene Backsheet-Sorten in einer Anlage geben kann. Das war den Betreibern vorher gar nicht bewusst. Unter diesen Sorten sind ein paar, die zu Problemen führen. Genau diese können wir mit unserer Methode super identifizieren und feststellen, ob irgendwelche Auffälligkeiten wie Korrosionen, Risse und dergleichen vorliegen. Um eine signifikante Stichprobe eines Solarparks zu erhalten, gehören aber neben der Backsheet-Analyse weitere Untersuchungsmethoden dazu – von Infrarot und UV-Fluoreszenz über Isolationswiderstände-Messung bis zur visuellen Inspektion.

Künstliche Intelligenz (KI) spielt für Ihre Arbeit ebenfalls eine Rolle. Wie setzen Sie KI ein?

Wir wollen ja viele Photovoltaikmodule beziehungsweise große PV-Anlagen untersuchen. Das heißt, im Terawatt-Zeitalter müssen die Methoden schnell sein. Berührungsfrei bieten sich somit zum Beispiel Monitoring-Daten oder Bilddaten an. Diese Datenmassen können jedoch nicht mehr händisch ausgewertet werden. Da brauche ich präzise Hilfe, wobei man mit statistischen Methoden sehr weit kommt. Mit KI kommen wir nochmals weiter. Wir haben mit neuronalen Netzwerken angefangen, jetzt haben wir Deep Learning. Im Bereich der Bildanalyse sind wir mittlerweile sehr schnell, wenn es etwa darum geht, Fehler anhand von Infrarotaufnahmen zu klassifizieren. Wir haben auch einen Algorithmus, mit dem wir Aussagen in der Form: „Das fünfte Modul in Reihe 17 oben ist auffällig.“ treffen können. Gleichzeitig können wir auch schon potentialinduzierte Leistungsminderungen (englisch: Potential Induced Degradation, kurz PID; Anm. d. Red.) und Temperaturverteilungen berücksichtigen. Wir entwickeln also einen Arbeitsprozess, wie man welche Methoden für welches Ziel am besten anwendet.

Das Projekt dig4morE läuft noch bis Ende Mai 2024. Was sind Ihre nächsten Forschungsschritte und welche Ergebnisse erwarten Sie zum Ende des Projekts?

Mir ist es wichtig, ein besseres Verständnis für die auftretenden Fehler in Photovoltaikmodulen zu erhalten. Welche Methoden sind geeignet, um welche Fehler zu finden? Was nützen mir Methoden-Mixe? Wie kann ich damit die Aussagekraft verbessern und präzisieren? Zu diesem Ergebnis zu gelangen, ist ein zentrales Ziel – also durch die Kombination mehrere Methoden eine bessere Aussagekraft zu erzielen und mit den Monitoring-Daten auch besser zurückverfolgen zu können, wann die Fehler entstanden sind. Aber um diese zu erkennen, muss man unheimlich viele Daten sammeln. Man muss sozusagen ein richtiges Sammelfieber entwickeln, genau analysieren und dabei alle möglichen Ursachen zulassen. Es ist also noch viel zu tun für uns und wir sammeln weiter.

Das Interview führte Andreas Viehof, Wissenschaftsjournalist beim Projektträger Jülich.

Dr. Claudia Buerhop-Lutz ist Werkstoffwissenschaftlerin und forscht am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI ERN). Das Institut wurde 2013 als Außenstelle des Forschungszentrums Jülich gegründet. Es wird in Kooperation mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und dem Helmholtz-Zentrum Berlin betrieben.

Porträtfoto Dr. Claudia Buerhop-Lutz
© privat

„Man muss sozusagen ein richtiges Sammelfieber entwickeln, genau analysieren und dabei alle möglichen Ursachen zulassen.“

dig4morE

För­der­kenn­zei­chen: 03EE1090A-C,E

Projektlaufzeit
01.06.2021 31.05.2024 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

Photovoltaik Ökonomie und Ökologie

För­der­sum­me: 1.948.060 Euro

Poster zum Projekt dig4morE

„Digitalisiertes O&M-Management zur Ertragssicherung von Solaranlagen“

Poster dig4morE

Kontakt

Dr. Claudia Buerhop-Lutz

Forschungszentrum Jülich GmbH
Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (IEK-11)
Abteilung Hochdurchsatzmethoden in der Photovoltaik (ZAE-Kooperation)

+49 9131 12538311

Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien