PROF. DR. TORSTEN SCHLURMANN IM INTERVIEW

Umbauarbeiten für eine weltweit einzigartige Konstruktion: Der Große Wellenkanal, 1983 mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft errichtet, ist jetzt der Große Wellen-Strömungskanal, kurz GWK+. Eine neue Wellenmaschine, ein neuer Tiefbauteil in der Mitte des 300 Meter langen Kanals und vor allem eine neue Strömungsanlage zeichnen die erweiterte Großforschungsinfrastruktur aus. Professor Torsten Schlurmann leitet das Verbundvorhaben marTech, durch das der Umbau finanziert worden ist. Die Forschungsarbeiten innerhalb des Projekts werden in der Zukunft Wissenslücken schließen und vor allem die Bedarfe der Industrie abdecken. Im Interview berichtet er von Entscheidungsprozessen, beeindruckenden Dimensionen und anstehenden Forschungsarbeiten.

Herr Schlurmann, in dem erweiterten Wellenkanal können Sie jetzt auch die Tideströmung erzeugen - im Vergleich zu normalen Wellen, die Sie auch vorher schon erzeugen konnten…

Die Kombination von Wellen und Strömung ist wahrscheinlich sogar der Unique Selling Point unserer Großforschungsinfrastruktur. Wellen im Labor können viele weltweit erzeugen, ob das in China, in Japan oder in den USA ist. Aber Welle und Strömung, da sind wir die Einzigen in dieser Größe. Das ist das herausragende Neue am Kanal. Und deshalb haben wir ihn auch „Großer Wellen-Strömungskanal“, kurz „GWK+“ genannt.

Wie setzen Sie die Tideströmung technisch um?

Dafür haben wir Hochleistungspumpen eingebaut, die 20.000 Liter pro Sekunde maximal fördern können. Diese gewaltige Strömung generieren wir neben dem Kanal und spielen sie in einer Art Rezirkulation durch den Boden des Kanals an einem Ende hinein und am anderen Ende des Kanals wird die Strömung wieder abgesaugt und damit quasi im Kreis geführt. Diese Konstruktion haben wir selbst entwickelt, hier ist Forschung eingeflossen. Zu Grunde lag die Frage: Was sind die Bedarfe der Industrie, um das Design und die Lebensdauer von Infrastrukturen für die Energiewende besser zu verstehen? Und dabei spielen die Tideströmungen eine große Rolle.

2017 ist der Umbau bewilligt worden. Wie kam es nach mehr als vierzig Jahren Betrieb zu der Entscheidung, den Großen Wellenkanal zu erweitern?

Wir hatten in den 2010er Jahren eine Vielzahl von Anfragen, als die erste Offshore-Windenergie-Phase so richtig losgelegt hat und sich die Industrie in Deutschland entwickelte. Da hieß es: „Könnt ihr uns die Belastungen von Offshore-Infrastrukturen in der Deutschen Bucht simulieren? Wir wollen Auslegungen und die Dimensionierung zuverlässiger planen und Nachweise erbringen. Wie stark muss der Stahl sein? Wie tief muss ich eine Struktur in den Boden einbetten? Und wie altern diese Anlagen im rauen marinen Umfeld?“ Aber wir konnten bislang keine Strömungen aus der Tidebewegung in der Deutschen Bucht simulieren. Die Industrie hat sich dann an bekannte Einrichtungen in den Niederlanden gewandt, die Strömungen und Wellen gleichzeitig generieren konnten – auch wenn es mit 1:50 ein viel kleinerer Maßstab war. Wir wussten also, wir müssen etwas tun, um die Industrie zu unterstützen und Handlungswissen für die Energiewende bereitzustellen.

Welchen Maßstab können Sie jetzt mit GWK+ erreichen?

Wir sind jetzt in der Lage, 1:10-Modelle und vielleicht sogar 1:5-Anlagen unter diesen von der Industrie aufgezeigten Bedarfen zu untersuchen. Wenn Sie eine Windenergieanlage bei und mit uns konzipieren, dann hat die einen Durchmesser von einem Meter und eine Höhe von zehn Metern. Ein dafür notwendiger Versuchsaufbau und Applikation von Sensoren und Messtechnik kann ohne Weiteres bis zu vier Wochen betragen. Die Versuche selbst dauern vielleicht nur ein paar Tage, und dann wird wieder drei Wochen abgebaut. Experimente im GWK+ sind aufwendig, aber unabdingbar für den Erkenntnisgewinn, da wir wirklichkeitsnahe Verhältnisse wie in der Nordsee erzeugen können. Wir sind bereits bis 2025 ausgebucht.

Welche Erkenntnisse erwarten Sie sich von dem erweiterten Wellenkanal plus?

Wir können die echte Tideströmung, also Flut und Ebbe generieren, mit variierenden Wasserständen. Gleichzeitig können wir eine Sturmflut simulieren, die einen naturähnlichen Seegang mittels einer neuen Wellenmaschine in dem Kanal erzeugt. Das ist eine weltweit einzigartige Forschungsinfrastruktur, erst recht in so einem großen Maßstab. Die Erkenntnisse liegen insbesondere in der Kombination beider Belastungstypen. Wir können Offshore-Infrastrukturen – ob das jetzt eine Windenergieanlage ist oder irgendeine beliebige andere Anlage –im Zeitraffer altern lassen. Wir schauen also, wie Anlagen über Lebenszyklen von 20, 30 Jahren degradieren, wann wir demnach die Anlagen warten und inspizieren müssen, wie eine Art TÜV. Gleichzeitig können wir die Folgen in der marinen Umwelt an und um diese Anlagen abschätzen. Dafür sind die Simulationen mit diesem Großforschungsgerät unersetzlich. Das funktioniert nicht in mathematischen Modellen und erst recht nicht mit einem Bleistift auf einem Blatt Papier.

Worauf freuen Sie sich besonders, wenn der Betrieb losgeht?

Ich freue mich grundsätzlich über dieses Ereignis. Sie müssen sich vorstellen, wir haben die erste Idee zur Planung oder zum Design dieser Anlage im Herbst 2015 angestellt. Geträumt haben wir immer schon davon. Zum Baubeginn ist es dann nach umfangreichen Planungen im Sommer 2019 gekommen. Wir haben also während der Corona-Phase gebaut. Es gab auch ohne diese spezielle Herausforderung viele Unwägbarkeiten, die während des Baus eines Unikats, das auch Baufirmen nicht gewohnt sind, auftreten.

Seit wann arbeiten Sie persönlich schon mit dem Wellenkanal?

Ich arbeite mit dem Kanal, seitdem ich nach Hannover berufen worden bin. Und das war 2007. Ich habe verschiedenste Untersuchungen geplant und betreut, nicht nur in Schwerpunkten in der maritimen Welt oder zu den Themen, die das BMWK fördert. Das sind zum Beispiel viele klassische Fragen im Küsteningenieurwesen zum Schutzniveau von Seedeichen und Belastungen von Infrastrukturen für den Hochwasserschutz.

Welches Projekt hat Sie in der Vergangenheit besonders beeindruckt?

Ein beeindruckendes Projekt handelte von Salzwiesen. Wir haben 2015 in der Region Dithmarschen, Schleswig-Holstein, Stücke von Salzwiesen ausgeschnitten, auf LKW verladen und nach Hannover geholt. Dort haben wir die Salzwiese im Kanal eingebaut und Tests mit echter Küstenvegetation durchgeführt: Wie robust sind Salzwiesen und welche Leistungen erbringen sie im Küstenschutz? Wie dauerhaft ist die Salzwiese infolge wiederholter Belastungen? Wie schnell altert sie? Ich hätte vorher nie gedacht, dass ich mit lebenden Pflanzen im Großen Wellenkanal arbeite.

Das Interview führte Meike Bierther, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

 

Prof. Dr. Torsten Schlurmann leitet seit 2007 das Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Leibniz Universität Hannover und verantwortet zusammen mit Prof. Goseberg das Forschungszentrum Küste der Leibniz Universität Hannover und Technischen Universität Braunschweig mit dem GWK+. Sein Promotionsthema waren Extremwellen. Nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 wurde er zu den Vereinten Nationen berufen und arbeitete dort am Aufbau des Tsunami-Frühwarnsystems im Indischen Ozean und der Weiterentwicklung des Katastrophenschutzes in den Anrainerstaaten.

Porträtfoto Torsten Schlurmann
© Prof. Dr. Torsten Schlurmann

„Die Kombination von Wellen und Strömung in unserem Wellenströmungskanal ist in dieser Größe weltweit einzigartig.“

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, bei der Eröffnung des Großen Wellenströmungskanals GWK+
© Thomas Simons | Projektträger Jülich

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Leibniz Universität Hannover
Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau und Ästuar- und Küsteningenieurwesen

0511-762-2573

Ludwig-​Franzius-Institut für Wasserbau und Ästuar-​ und Küsteningenieurwesen

Ergänzende Links

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För­der­kenn­zei­chen: 0324196A-B

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