Windenergie
Windenergieanlagen digital testen
Die Windindustrie muss dem wirtschaftlichen Druck des Strommarktes mit innovativen Konzepten begegnen. Doch der Weg, bis neue Anlagen und Komponenten die Marktreife erlangen, ist lang. Um Zeit sowie teure Phasen auf dem Teststand zu sparen, lassen sich viele Untersuchungen vorab im Rechner simulieren. Die neue Simulationsumgebung WindMUSE ist multidisziplinär, integriert vorhandene Teilmodelle unter einer einheitlichen Sprache und ermöglicht digitale Tests in Echtzeit. Ziel ist, Windenergieanlagen mit einer vergleichbaren Präzision abzubilden, wie in der Luftfahrt üblich.
Projektkontext
Höhere Türme, veränderte Rotorblattkonzepte in Leichtbauweise und mit optimierten Verstelleinrichtungen sowie neue Generatorkonzepte und Getriebe, das sind Beispiele dafür, in welche Richtungen sich die Technik von Windenergieanlagen (WEA) künftig weiterentwickeln kann. Alle Entwicklungslinien verfolgen das Ziel, die Wirtschaftlichkeit von Windstrom weiter zu verbessern, um den Anforderungen des Strommarktes gewachsen zu sein. Mit leistungsstarken Simulationsmodellen (Frameworks) lassen sich die neuen Komponenten und Konzepte kosten- und zeitgünstig im Rechner testen.
Forschungsfokus
Für die Luftfahrt existieren etablierte Simulationswerkzeuge und Modelle. Ziel des Forschungsverbundes ist es, diese für die Simulation von Windenergieanlagen nutzbar zu machen und in einer multidisziplinären Simulationsumgebung zusammen zu führen. So kann es gelingen, konzeptionelle Änderungen einer Windenergieanlage (WEA) innerhalb weniger Tage zu testen. Anhand realer Messdaten von Referenz-WEA verfeinern die Forscherteams stetig die Simulationsgenauigkeit der Modelle.
Innovation
Simulationen in der WindMUSE-Umgebung, beispielsweise zu neuen Blättern, Getrieben, Regeleinrichtungen und Generatoren, werden automatisiert ausgeführt und berechnen dabei eine Vielzahl von Lastfällen. Neue Komponenten können in Echtzeit eingebunden werden. Bei den meteorologischen Parametern werden beispielsweise konvektive Grenzschichten und Low-level-Jets abgebildet. Damit lassen sich auch der Einfluss von Gebirgsketten und Wäldern nachbilden. Alle Anströmbedingungen und Turbulenzen lassen sich hochgenau, zeitlich variabel und räumlich über 360 Grad variieren. Auch die dynamischen und elastischen Effekte an Rotorblättern und Turm sowie an Wellen und Getrieben sind Teil der Berechnungen.
Ergebnisse
Forschungsinstitute des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) das neue Framework „Windturbine in multidisziplinärer Simulationsumgebung (WindMUSE)“ entwickelt. Es integriert bereits vorhandene Teilmodelle und bietet eine einheitliche und werkzeugunabhängige Beschreibungssprache für Windturbinen. Die enthaltenen Teilmodelle können realitätsnah und multidisziplinär charakteristische meteorologische, aerodynamische und systemtechnische Belastungen nachbilden. So tragen sie dazu bei, konzeptionelle Änderungen innerhalb weniger Tage erproben zu können. Eines der eingeflossenen Tools ist beispielsweise das vom IWES entwickelte OneWind, das die Entwicklung von WEA und Windparks in unterschiedlichen Detaillierungsgraden ermöglicht. Holger Schumann, Projektleiter beim DLR Institut für Flugsystemtechnik: „Die Kombination unterschiedlich starker Simulationswerkzeuge erlaubt die ganzheitliche Betrachtung von Windturbinen. Jedoch ist die Werkzeugverknüpfung zu Simulationsworkflows recht aufwändig. WindMUSE erleichtert mit Hilfe des DLR-Werkzeugs RCE die Handhabung solcher Workflows und die einheitliche Beschreibungssprache vereinfacht zusätzlich die Konfiguration der Werkzeuge.“
Synergien zur Luftfahrt
Ein zentrales Ziel des Forschungsprojekts war, WEA künftig mit einer vergleichbaren Präzision darstellen zu können, wie es in der Luftfahrt üblich ist. Dazu haben die Entwickler das bewährte Simulationswerkzeug S4 in WindMUSE integriert. Mit S4 lassen sich isolierte Hubschrauberrotoren im Rechner simulieren. Die Aerodynamik kann Effekte von Kompressibilität, Queranströmung und dynamischen Strömungsabriss abbilden. Das DLR Institut für Flugsystemtechnik hat S4 entwickelt.
Die ursprüngliche Version des Werkzeugs wurde für die Windenergie angepasst. So sind jetzt Berechnungen mit variabler Rotationsgeschwindigkeit statt konstanter Drehzahl möglich und es werden der Turmvorstau, dynamische Windfelder sowie bewegte Narben berücksichtigt.
Simulationsumgebung kann getestet werden
Die Simulationsumgebung WindMUSE steht Firmen und Forschungseinrichtungen für Tests zur Verfügung. Das Modell wird zukünftig fortlaufend durch Integration realer Messwerte validiert. Die WindMUSE Simulationsumgebung bietet im Zusammenwirken mit der zukünftigen Forschungsplattform für Windenergie die Möglichkeit, Technologien im Windenergiebereich zu simulieren, zu validieren und letzten Endes die Wirkung und Zusammenhänge im Gesamtsystem Windenergieanlage besser zu verstehen, erläutert Holger Schumann, DLR.
Forschungsplattform Windenergie
Die im Aufbau befindliche Forschungsplattform Windenergie wird der wissenschaftlichen Gemeinschaft erstmals die vollumfängliche Validierung der Simulationsergebnisse unter realen Bedingungen und bisher unerreichter Genauigkeit ermöglichen. Diese Plattform bauen DLR, IWES und der Forschungsverbund ForWind gemeinsam auf.
Das Forschungsprojekt wird eine weltweit einzigartige Basis zur ganzheitlichen Erforschung und Weiterentwicklung der Windanlagentechnik bieten. Es wird voraussichtlich Ende 2020 abgeschlossen sein und verfügt über umfangreiche Messtechnik an zwei Multi-Megawattanlagen, vier meteorologischen Messmasten und im Felde u. a. mit akustischer Messtechnik. Eine weitere hochmodifizierbare Experimentalturbine soll Versuche mit Technologien und Komponenten bereits in einem frühen Entwicklungsstadium ermöglichen.
Letzte Aktualisierung: 11.03.2019