03. Juni 2022

260 Anwohnerinnen und Anwohner in der Nähe von Windenergieanlagen haben ihr Befinden eingeschätzt und Angaben zu ihren Einstellungen gemacht. Parallel dazu hat das interdisziplinäre Projektteam Schall und Bodenbewegungen gemessen und alles miteinander abgeglichen.

Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um die Sozial- und Umweltpsychologin Professorin Dr. Gundula Hübner und den Umweltpsychologen Dr. Johannes Pohl in einer Broschüre  veröffentlicht. Darin beschreiben sie ihre Arbeiten rund um das abgeschlossene Forschungsprojekt TremAc. Ziel der Forschenden war es zu erfahren: Wodurch entsteht Belästigung? Und was kann man dagegen tun?

Neben 130 Personen aus Ingersheim waren in die Analyse von Geräuschbelästigungen durch Windenergieanlagen auch 130 Menschen aus Wilstedt einbezogen. Die Befragung von TremAc war in Wilstedt bereits die dritte innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren. Eine Langzeitstudie in dieser Kontinuität zu den Wirkungen von Geräuschen durch Windenergieanlagen ist weltweit einmalig. Bei TremAc hat das Wissenschaftsteam zwei Ansätze verfolgt: Auf der einen Seite hat das Team die Anwohnerinnen und Anwohner standardisiert befragt. Auf der anderen Seite haben Projektpartner vom Karlsruher Institut für Technologie und der Universität Stuttgart Bodenbewegungen und Schallwellen gemessen, die von den Windenergieanlagen ausgehen. Dadurch konnte das Projektteam die Angaben der Befragten mit den objektiv erfassten Messwerten abgleichen. Auch dieses Vorgehen ist in der Form einmalig.

Bodenbewegungen und Infraschall spielen keine Rolle

Für zwei mutmaßliche Störfaktoren fanden sich keine Belege. Einer davon ist die Bewegung des Bodens: „Bei der Windenergie selbst sind die Einflüsse, die durch den Boden kommen, vernachlässigbar. Das ist jetzt sicher. Hier gab es die Vermutung, dass die Häuser zum Schwingen gebracht werden. Aber das ist nicht der Fall. Die Pegel, die da auftreten, können das gar nicht bewirken“, erklärt Johannes Pohl. Auch zum Thema Infraschall konnten die Projektpartner den Anwohnerinnen und Anwohnern die Sorgen nehmen: „Es kommt zwar Infraschall an, aber die Pegel liegen weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle“, berichtet Gundula Hübner. Die eingesetzten Messgeräte seien so fein, dass sie auch Erdbeben in anderen Teilen des Globus erfassen können.

Negative Gefühle können Stresssymptome verstärken

Gleichzeitig ist ein klares Ergebnis, dass es tieffrequente, hörbare Geräusche gibt, die von den Anlagen ausgehen. Es gibt sie, und ein kleiner Teil der Anwohnenden ist dadurch nach Definition des Projektteams stark belästigt – es waren 6,2 Prozent der Befragten in Ingersheim und 4,6 Prozent in Wilstedt. Um Belästigung zu definieren, haben die Psychologen zum einen abgefragt, wie stark sich eine Person belästigt fühlt. Gleichzeitig haben sie nach konkreten Stresssymptomen gefragt, etwa Schlafproblemen oder Gereiztheit. Diese können auch bei Menschen auftreten, die grundsätzlich positiv gegenüber den Anlagen eingestellt sind. Negative Gefühle können die Stresssymptome allerdings verstärken: „Wenn sich zum Beispiel Menschen im Planungsprozess unfair behandelt gefühlt haben, dann machen sie hinterher seltener Frieden mit den Anlagen“, erklärt Gundula Hübner. Die Lösung: Sowohl in der Planungs- als auch in der Bauphase neuer Windenergieanlagen sollten Anwohnerinnen und Anwohner miteinbezogen werden. Zudem müsse weiter zu Geräuschwirkungen gearbeitet werden.

Definition von Belästigung muss standardisiert werden

Gundula Hübner und Johannes Pohl raten in ihrer Broschüre, eine einheitliche Standarddefinition von „Belästigung“ zu etablieren. Dafür empfehlen sie ihr umweltpsychologisches Vorgehen, dass die Belästigungseinschätzung mit Stresssymptomen kombiniert. Zudem seien weitere systematische Untersuchungen von Minderungsmaßnahmen nötig. Solche Maßnahmen müssen demnach geeignet sein, nachweislich Stress zu reduzieren, um dadurch die Akzeptanz von Windparks zu steigern.

Ein Zusammenhang zwischen Abstand zu Windenergieanlagen und erlebter Belästigung ist hingegen wissenschaftlich über mehrere Studien hinweg nicht klar belegbar. „Regelhaft ist die Belästigung nicht abhängig vom Abstand. Jemand kann sehr nahe an Anlagen wohnend stark belästigt sein, ein anderer in weiterer Entfernung. Dafür gibt es keine definierbaren Schwellenwerte“, erklärt Johannes Pohl. (mb)

 

Anlagen in Niedersachsen und Baden-Württemberg untersucht

Neben 130 Menschen im niedersächsischen Wilstedt haben in der Studie des Projekts TremAc auch 130 Bürgerinnen und Bürger aus der Gemeinde Ingersheim in Baden-Württemberg teilgenommen. Während es in Wilstedt ein Windpark mit neun 2-Megawatt-Windenergieanlagen ist, in dessen Nähe die Teilnehmenden wohnen, handelt es sich in Ingersheim um eine einzelne 2-Megawatt-Windenergieanlage. Im Folgeprojekt Inter-Wind untersuchen die Projektpartner aktuell den Windpark Tegelberg. Ziel ist es zu bestimmen, welche Faktoren dort zu Belästigung und Stress beitragen. Durch Vorher-Nachher-Messungen sowie mehrwöchige Untersuchungen stark belästigter Personen prüfen die Forschenden auch die Wirkung von Minderungsmaßnahmen.